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Hospizbegleiter wollen Sterbende nicht alleine lassen – Mühlacker Tagblatt

Hospizbegleiter wollen Sterbende nicht alleine lassen, sondern für sie da sein. Ihr Fokus liegt auf „gutem Sterben“, nicht auf „schnellem Sterben“. Foto. Fotolia

Den Wunsch nach einer assistierten Sterbehilfe haben nicht nur die Kessler-Zwillinge gepflegt. Ihr Wunsch ging in Erfüllung – obwohl die Gesetzeslage immer noch nicht endgültig geklärt ist. Für Martin Gengenbach, Geschäftsführer des Hospiz Pforzheim Enzkreis, steht aber fest, dass die Beihilfe zum Suizid mit dem Selbstverständnis und den ethischen Leitlinien der Palliativ- und Hospizdienste unvereinbar ist. 

Der Tod der Kessler-Zwillinge hat das Thema „Assistierter Suizid“ wieder in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Könnten Sie kurz die aktuelle Gesetzeslage und den Stand der Diskussion skizzieren? – Assistierter Suizid, also die „Sterbehilfe“, wie dieser Suizid häufig bezeichnet wird, wurde im Paragraf 217 Strafgesetzbuch unter Strafe gestellt. Das Bundesverfassungsgericht hatte diesen Paragrafen 2020 mit der Fußnote „…nach Maßgabe der Entscheidungsformel mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig gem. BVerfGE vom 26.02.2020…“ wieder aufgehoben. Seither ist somit auch die „geschäftsmäßige Sterbehilfe“ straffrei weiterhin möglich, wenn es der freie Wille und unbeeinflusst von einer akuten psychischen Störung der oder des Betroffenen ist und diese sich diese ausreichend informiert haben, um Für und Wider abwägen zu können. Die Hospizbewegung spricht sich mit Ihrer Haltung grundsätzlich gegen assistierten Suizid aus, vor allem, weil Menschen, die sich in die Versorgung und Begleitung durch hospizliche Einrichtungen begeben und eben keinen Suizidwunsch haben, geschützt werden sollen. Vor allem dann, wenn Aussprüche wie beispielsweise „. . . ich kann nicht mehr . ..“ unter Umständen dann Gefahr laufen würden, dass diese als Handlungsaufforderung an die begleitenden und betreuenden Personen ausgelegt werden könnten.

Warum lehnt das Hospiz Pforzheim Enzkreis Beihilfe zum Suizid aus ethischen Motiven ab? – Grundsätzlich sind wir ein christlich geprägtes Haus mit christlich geprägten Trägern und entsprechenden Werten und einer entsprechenden Haltung. Wir lehnen Beihilfe zum Suizid nicht grundsätzlich ab – diese Information und vor allem dieser Unterschied sind sehr wichtig –, wir lehnen sie allerdings in unserer Einrichtung ab. Ein Hospiz dient der Pflege, Versorgung und Begleitung schwerstkranker und sterbender Menschen und deren Zugehörigen. Der Fokus liegt auf „gutem Sterben“, kein (künstlich) „schnelles Sterben“.

Befürchten Sie, dass schwerkranke Menschen auch zum assistierten Suizid gedrängt werden könnten und keine wirklich freie Entscheidung treffen? – Wir hören das aus unseren europäischen Nachbarstaaten, die den assistierten Suizid schneller und „unkomplizierter“ zulassen, dass dort eine Äußerung genügt, und schon steht ein zweiter Arzt zur Stelle, um die Situation zu bestätigen und die Suizidassistenz einzuleiten – auch daraus entsteht ein gewisser Druck. Mangelhafte Aufklärung, mangelhafte Auseinandersetzung mit der Frage, mangelhafte Angebote von Alternativen können hier unter Umständen die Entscheidung für einen assistierten Suizid erleichtern. Eine fehlende oder ungenügende öffentliche Haltung, allgemein zum Leben, kann auch Druck dahingehend erzeugen, dass monetäre Gründe – zur Last fallen, auf Kosten des Sozialsystems – höher wiegen als das Leben.

Welche Alternativen kann die Hospizarbeit anbieten? Wie sieht eine gute Hospizarbeit aus? – In einem Hospiz sterben die „Gäste“ in der Regel. Mit Ausnahme von etwa zwei Prozent, die das Hospiz wieder verlassen, weil sich zum Beispiel ihr Zustand so weit stabilisiert, dass ein Aufenthalt zu Hause oder in einer allgemeinen Pflegeeinrichtung genügt. Häufig werden in der Öffentlichkeit stationäre Hospize zu Unrecht mit der Bezeichnung „Sterbehaus“ stigmatisiert. Wir erleben täglich erstaunte und überraschte Menschen, die in unsere Einrichtung als Gäste, Besucher oder Interessierte kommen und eine völlig falsche Vorstellung von einem stationären Hospiz haben: nämlich düster, dunkel, traurig, von einer Atmosphäre des Todes und des Sterbens durchflutet. Nochmals: In einem Hospiz sterben die „Gäste“ in der Regel. Bis zu ihrem Tod leben sie allerdings und das gesamte multiprofessionelle Team aus Haupt- und Ehrenamtlichen tut alles in seiner Macht stehende, um dieses Leben so lebenswert wie möglich zu machen und die Lebensqualität so gut wie nur möglich zu gestalten.

Falls Ihre Angebote abgelehnt werden, muss man dann nicht den Sterbewunsch eines Menschen akzeptieren? – Auch hier, nochmals: Wir hören, akzeptieren und respektieren den Sterbewunsch jedes Menschen. Ein beschleunigtes Sterben durch Suizidassistenz ist allerdings in der hospizlichen Arbeit ausgeschlossen.

Sie schreiben in einem Eckpunktepapier: Der Fokus liegt auf dem „gut Sterben“ und nicht auf dem „schnell Sterben“. Ist „schnell Sterben“ nicht manchmal auch „gut Sterben“? – Gutes Sterben schließt schnelles Sterben ja nicht automatisch aus. Das passiert oftmals von ganz alleine. Beim schnellen Sterben ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass der gesamte Prozess für den betroffenen Menschen, wie auch sein Umfeld, dadurch schnell abläuft. Es handelt sich hierbei tatsächlich um einen Prozess, der auch wissenschaftlich erforscht ist und in verschiedenen Phasen abläuft, die jeweils für sich betrachtet eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Elisabeth Kübler-Ross, schweizerisch-US-amerikanische Psychiaterin und Sterbeforscherin, geboren 1926 in Zürich, beschreibt die Phasen „Nicht-Wahrhaben-Wollen“, „Zorn“, „Verhandeln“, „Depression“ und „Zorn“, die wir tagtäglich bei unseren schwerkranken Gästen und deren Zugehörigen beobachten. Wird der gesamte Prozess von außen, also zum Beispiel durch assistierten Suizid, beschleunigt, kann in den einzelnen Phasen nur schwer oder gar nicht aus Sicht des Betroffenen oder auch für das Umfeld wie Freunde, Verwandte und Bekannte darauf eingegangen und es nicht verarbeitet werden. 

Wenn Menschen, die sie betreuen, den Wunsch nach einem Suizid äußern, wie reagieren Sie auf diesen Wunsch? – Wir hören zu. Wir hören zu und versuchen vor allem zu klären, was dahintersteckt. Meist geht es um „ich will so nicht mehr leben“. Dabei geht es vor allem um das „so“. Und wir suchen nach Lösungen und setzen alles daran, das „so“ dahingehend zu verändern und zu verbessern, dass das Leben, auch in seiner Schwere der Situation wieder erträglicher und lebenswerter wird. Wichtig ist grundsätzlich, sehr zu differenzieren zwischen einer Aussage und einer Handlungsaufforderung der oder des Betroffenen an die begleitende Person.

Sie sind ein christliches Hospiz. Betreuen Sie auch Menschen aus anderen Religionskreisen oder Menschen, die sich keiner Glaubensrichtung zugehörig fühlen? – Nächstenliebe schließt alle Menschen, unabhängig von ihrer Weltanschauung, Religionszugehörigkeit oder sozialen Herkunft ein – ja, wir nehmen auch Menschen mit anderen oder keiner Religionszugehörigkeit bei uns auf und pflegen und begleiten alle gleich. Wir sprechen uns dabei deutlich gegen „Missionierungsversuche“ am Sterbebett aus.

Sie bedauern, dass in der Öffentlichkeit oft auch Begrifflichkeiten wie „Sterbehilfe“ versus „Sterbebegleitung“ oder „Hospiz“ versus „Sterbehaus“ durcheinandergebracht werden. Könnten Sie kurz die Unterschiede erläutern. – Sterbehilfe ist assistierter Suizid, jemand unterstützt eine oder einen Suizidanten, die „Tatherrschaft“ (juristisch) muss beim Suizidanten liegen. Sterbebegleitung hingegen ist: alles, was im Aufgabenbereich der Hospiz- und Palliativversorgung liegt. Den Begriff Hospiz erklärt Cicely Saunders so: „Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben“ und „Sie sind wichtig, weil Sie eben Sie sind. Sie sind bis zum letzten Augenblick Ihres Lebens wichtig und wir werden alles tun, damit Sie nicht nur in Frieden sterben, sondern auch bis zuletzt Leben können.“ Dies ist zu lesen an den Wänden im Treppenhaus unseres Hospizes. Zum Begriff Sterbehaus und welche Vorstellung dahinter steckt, kann ich nichts sagen, er gehört zum Sprachgebrauch der Öffentlichkeit. 

Abschließend noch eine sehr persönliche Frage: Wie stellen Sie sich Ihren eigenen Tod vor? – Sie fragen nach dem „Tod“: Ich bin christlich sozialisiert und aufgewachsen, getauft, konfirmiert und als aktives Gemeindeglied – Chorleitung seit über 30 Jahren, Kirchenvorstand – in der Evangelisch-Lutherischen Siloahgemeinde in Ispringen. Ich glaube fest daran, dass der Tod den Übergang in eine andere „Form“ darstellt. Ob es „das Paradies“, „der Himmel“ oder was auch immer sein wird – vielleicht erlebe ich es dann, nach dem Tod ?! Hierzu hatten wir ein sehr lehrreiches Seminar, das sich mit dieser Wissenschaft namens Thanatologie beschäftigte. Dabei wurde von dem Dozenten Prof. Dr. Enno Edzard Popkes, der Theologe ist, auch das „Höhlengleichnis“ des Philosophen Platons vorgestellt – auch eine Vorstellung, die ich mit meinem christlichen Glauben in Einklang bringen kann…
Im Gegensatz zu meiner Vorstellung vom eigenen „Tod“ geht es mir vermutlich so, wie dem Großteil der Menschen, dass ich mir ein „schnelles Sterben“ wünsche – unter Berücksichtigung der oben benannten Aspekte, die damit zusammenhängen; nicht zuletzt auch für mein privates und persönliches Umfeld. Denn, ein schnelles Sterben, zum Beispiel durch einen plötzlichen Unfalltod, ist für einen selbst vielleicht „angenehmer“ als lange Krankheit und Siechtum – für das Umfeld ist es eine Katastrophe.

Bericht von Frank Goertz im Mühlacker Tagblatt